Patientengeschichte zum Sarcoma Awareness Month
Sarkome gehören nicht zu den bekannten Krebsarten. Sie sind extrem selten und eine in sich äußerst heterogene Gruppe bösartiger Tumoren. Ihre Behandlung ist herausfordernd für Ärzte wie Patienten. Stefanie Hirtreiter ist eine von ihnen. Mit ihrer Geschichte möchte sie Betroffenen Mut machen.
Als sich eine Entzündung als fast 20 cm großes Sarkom herausstellte
Im August 2022 spürt Stefanie Hirtreiter ein Ziehen im linken Bein. Eine Zerrung, denkt sie, völlig harmlos. Als es nicht besser wird, geht sie zum Arzt und wird geröntgt. Die Diagnose: eine Entzündung. Ein halbes Jahr wird sie behandelt, doch die Schmerzen bleiben. Als schließlich eine MRT-Aufnahme einen Tumor nahelegt, geht es schnell. Im Mai 2023 stellt sie sich im Muskuloskelettalen Tumorzentrum (MSTZ) der Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Sportorthopädie am TUM Klinikum Rechts der Isar in München vor. Es erfolgen eine weitere Bildgebung und eine Biopsie.
Der Befund: ein fast 20 cm großes, aggressives undifferenziertes pleomorphes Sarkom (UPS) an der Hüfte und dazu als Zufallsfund ein Nierenzellkarzinom. Stefanie Hirtreiter, die von einer gutartigen Erkrankung ausgeht, ist überrascht und schockiert: „Ich bin familiär nicht vorbelastet. Ich war überzeugt, dass der Tumor gutartig ist.“ Mit der Bezeichnung Sarkom kann sie nicht viel anfangen.
„Ein ungewöhnlicher Fall“
PD Dr. Carolin Knebel, die behandelnde Oberärztin am MSTZ, kennt das: „Mit einem Sarkom rechnet keiner. Solche Tumoren sind extrem selten und mit unzähligen Subtypen sehr komplex. Eine korrekte Diagnose kann nur ein zertifiziertes Sarkomzentrum stellen, in dem entsprechende Expertise vorhanden ist. Dass bei Frau Hirtreiter noch ein Nierenzellkarzinom gefunden wurde, macht den Fall noch ungewöhnlicher.“
„Ich spürte sofort die innere Gewissheit: Du kommst da heil durch.“
Von ihrer schwierigen Diagnose lässt Stefanie Hirtreiter sich nicht niederkriegen. „Ich spürte sofort die innere Gewissheit: Du kommst da heil durch. Deshalb wollte ich sofort wissen, wie es weitergeht.“ Von Beginn an vertraut sie auf die Qualität der medizinischen Versorgung am Klinikum. „Ich hatte mir das Rechts der Isar in Abstimmung mit meinem Arzt gezielt ausgesucht. Ich wusste, es ist ein Kompetenzzentrum und ich erhalte dort State-of-the-Art-Medizin. Das war mir sehr wichtig.“
First-Line-Behandlung im TUM Klinikum Rechts der Isar
Stefanie Hirtreiter bekommt eine sogenannte First-Line-Behandlung – die Therapie, die nach dem aktuellen Stand der Medizin als die am besten geeignete eingestuft wird. Drei Chemotherapien sind angesetzt, doch als die zweite eine allergische Reaktion auslöst, entscheidet das Tumorboard, die Operation vorzuziehen. Sie wird auf den 30.08.2023 festgesetzt – ein Datum, das Stefanie Hirtreiter nie vergessen wird. Es markiert für sie einen Meilenstein. Vier Stunden sind für die Operation angesetzt, nach zwei ist es vorbei.
„Frau Dr. Knebel kam mit einem Lächeln zu mir ins Zimmer“, erinnert sie sich. „Sie war sich recht sicher, dass sie den Tumor komplett entfernt hatte. Da wusste ich, ich habe es fast geschafft.“
„Wir wollen das maximal Mögliche für unsere Patienten herausholen“
Es folgen eine Strahlentherapie, eine Nieren-OP und drei weitere Chemotherapien. „Frau Hirtreiter bekam das absolute Maximalprogramm“, blickt Oberärztin Dr. Knebel zurück. „Wobei der chirurgische Part der wichtigste Baustein ihrer Behandlung war. Denn allein durch Chemotherapie und Bestrahlung ist diese Art Sarkom nie heilbar. Doch vor und nach der OP eingesetzt, können sie den Prozentsatz der Heilung weiter erhöhen. Und natürlich wollen wir das maximal Mögliche für unsere Patienten herausholen.“
„Ich habe die Behandlung immer als Teamarbeit empfunden“
Drei Operationen, 99 Einzeldiagnosen, 292 Befunde – das ist Stefanie Hirtreiters Behandlung Stand heute in Zahlen. Wie schafft man das? „Ich glaube, dass ein mental stabiler Patient viel zu seiner Heilung beitragen kann. Ich habe die Behandlung immer als Teamarbeit empfunden: Die Ärzte steuern ihre Expertise bei, die Medikamente entfalten ihre Wirkung, die Pflege unterstützt und ich als Patientin bringe meine innere Stärke ein.“
„Eine positive Einstellung ist sehr wichtig“
Im persönlichen Umfeld weiht sie nur verlässliche Unterstützer ein. Mit zusätzlichen Sorgen und Ängsten will sie sich nicht belasten. Doch nicht alle Patienten besitzen so viel Kraft, weiß Dr. Knebel. „Frau Hirtreiter ist eine psychisch sehr stabile Patientin. Und ich glaube, dass eine positive Einstellung sehr wichtig ist, obwohl wir nicht wissenschaftlich messen können, wie viel diese zum positiven Outcome beiträgt.“
Als eine Maßnahme versuchen wir am MSTZ durch ein Screening, Patienten zu ermitteln, die viele Ängste haben, um eine Betreuung durch das Team der Psychoonkologie zu ermöglichen. „Leider lehnen diejenigen, die am meisten davon profitieren würden, dieses Angebot häufig ab“, berichtet Dr. Knebel.
„Mir geht es wunderbar“, trotz kleiner Bewegungseinschränkungen
Die Behandlung ist nun abgeschlossen. Erst in zehn Jahren wird Stefanie Hirtreiter als sicher geheilt gelten. Doch die beiden ersten, die kritischsten Jahre, hat sie fast überstanden. Geblieben sind ihr kleine Bewegungseinschränkungen etwa beim Treppensteigen, aber das wusste sie vor der OP. „Viele Patienten glauben, wenn der Tumor raus ist, ist alles wie vorher“, sagt Dr. Knebel. „Je nach Größe und Lage des Tumors bleiben jedoch Nachwirkungen. Die muss man ansprechen, damit der Patient nicht enttäuscht ist und sich freuen kann über das, was er dann wieder erreicht.“
Stefanie Hirtreiter selbst nimmt das pragmatisch: „Mir geht es wunderbar. Ich hatte nie vor, in meinem Leben noch mal Leistungssport zu betreiben.“ Für sie zählt vor allem das Gefühlt, hervorragend versorgt worden zu sein. Während ihrer Chemotherapien erlebt sie bei Mitpatienten, welche Versorgungslösungen die Ärzte aufbieten. „Das hat mir die Gewissheit gegeben, dass auch ich das Beste bekomme, was zu haben ist.“
In ihrem Fall hat die Standardbehandlung gewirkt. „Natürlich hätten wir noch eine Second- und Third-Line-Behandlung zur Verfügung gehabt“, sagt Dr. Knebel. Besonders beeindruckt haben Stefanie Hirtreiter die Rückmeldungen des Tumorboards, in dem Krebstherapien für jeden Patienten interdisziplinär besprochen werden. „Ich habe mich dadurch als individueller Mensch wahrgenommen gefühlt und mich gefreut, wie viel Sorgfalt und Wissen in meine Behandlung fließen. Das sollte auch anderen Betroffenen Mut machen.“
Text: Dr. Angelika Jockers